Tuesday, July 11, 2017




G20: Protest gegen wen? Personenschutz wovor?

G20: Protest gegen wen? Personenschutz wovor?

Hauptsache hochgerüstet: Hamburg im Ausnahmezustand.


Meine Stadt ist Gastgeber von Spitzenpolitikern dieser Welt geworden und von protestierenden Menschen, die man (so Jan van Aken, die Linke) damit „miteingeladen“ hat, und die zum größten Teil mit friedlichen Absichten aus allen Teilen des Landes kommen. Aber auch mit Schlachtrufen wie „Welcome to hell“ (1). Prinzipiell sollte es mir, die sich jahrelang verzweifelt darum bemüht, Menschen zum Protest gegen Militarismus und globale Ausbeutung von Mensch und Natur zu bewegen, eine große Freude sein, eine derart aktive Bewegung zu erleben, die ihre demokratischen Möglichkeiten zum Protest nutzt. Doch ist mir nicht ganz klar. Wer protestiert hier gegen wen? Und gegen was?
Der Jurist und Buchautor Andreas Wehr weist auf eine dramatische Verwechslung hin, die seit Monaten in den Köpfen der meisten Menschen festzuhängen scheint. G 20 ist kein erweitertes G 7, wo die mächtigsten Industrieländer der Welt unter sich sind, um den Globus unter ihren Machtgelüsten aufzuteilen. G 20 ist im Gegenteil das diplomatische Format, an dem sogenannte Schwellenländer wie Indien, Südafrika, Brasilien und Argentinien beteiligt sind, also zumindest erst einmal offiziell eine Plattform finden, um über die globalen Grenzen von Armut und Reichtum hinweg miteinander zu reden. (2)
Auch müssen sich Friedensaktivisten in Zeiten des neuen kalten Krieges und einem erheblichen „Säbelrasseln“ von US- und NATO-Einheiten vor der russischen Grenze schon mal fragen, was sie denn konkret daran einzuwenden haben, dass Putin und Trump sich in Hamburg persönlich treffen?
Letzte Nacht sah ich eine Talkshow im Stadtsender Hamburg1, die sich Veranstalter von Protestkundgebungen eingeladen hat. Doch im Gespräch ging es so gut wie gar nicht um die Frage, wogegen oder wofür hier eigentlich demonstriert wird. Die Diskussion drehte sich ausschließlich darum, ob man die bevorstehende Gewalt von beiden Seiten richtig einschätze.
Natürlich ist es Unsinn, den Demonstranten schon im Voraus Gewaltbereitschaft zu bescheinigen, und ihnen deshalb die bereits zugesagten Zelt-Plätze zu verweigern, angeblich, damit sie gar nicht erst Kräfte für Gewaltattacken sammeln können. Als wäre das Aggressionspotential eines übernächtigten Protest-Aktivisten entscheidend niedriger als das eines ausgeruhten.
Aber natürlich haben Spitzenpolitiker zunächst einmal auch Anspruch auf erhöhten Personenschutz. 
Das Ausmaß dieses Personenschutzes wurde allerdings schon wieder wenig thematisiert.
Nur zwei Beispiele: Zur selben Zeit, als diese Diskussionen gesendet wurde, wurde eine Straßenparty in St. Pauli mit Wasserwerfern bekämpft, angeblich um eine weitere Eskalation zu verhindern. 
Ein irrsinniger Widerspruch, der sich derzeit in meiner Stadt an allen Ecken und Enden zur Norm erhebt. Am Freitag feiern Abiturienten in der ganzen Stadt ihren Abiturabschied und werden sich, um zu ihrer Schule zu kommen, durch Polizeiketten drängeln und ihre Ausweise zücken müssen, werden sich per se als „Bedrohung“ für Politiker erleben. Schon jetzt ist ziemlich klar, dass viele ihren Abiturabschied, obwohl „unschuldig“ nicht erreichen werden. 
All das findet eine ganze geistige Welt entfernt von jeglicher politischer Auseinandersetzung statt.
Der einzige, der die Diskussion bei Hamburg 1 mit einem überzeugenden Inhalt bereichern konnte, war der Vertreter des BUND, der erklärte, seine Veranstaltung richte sich an alle Vertreter der G 20, denn er wolle sie an ihre gemeinsame Verantwortung zum Schutz unseres Planeten aufrufen. Das erscheint sinnvoll. An die zerstörerische Logik des Wirtschaftswachstums kann man nun wirklich alle Regierungen dieser Welt erinnern.
Doch auch ein Vertreter der SPD, Wolfgang Rose, hat eine Demonstration organisiert, mit dem Motto „Hamburg zeigt Haltung“. Wofür denn? Und wem denn? 
Die Adressaten auf dem G 20 Gipfel könnten ja kaum unterschiedlicher sein. Welche Haltung zeigt Hamburg denn Putin gegenüber? Der russische Präsident ist in Hamburgs Partnerstadt Petersburg geboren. Welche Haltung soll der indische oder chinesische Staatschef von Hamburg sehen? Wie halten es die SPD-ler in Hamburg mit Trump, den sie für frauenfeindliche Sprüche aber offenbar nicht für die Bombardierung Syriens verurteilen. Herr Rose von der SPD konnte es gestern Abend nicht klären, er ging gar nicht darauf ein und wurde vom Moderator auch gar nicht danach gefragt.
Ich habe immer mehr das Gefühl, man ereifert sich hier über demokratische Grundwerte, ohne zu wissen, worüber man überhaupt redet, und lügt sich dabei an der eigentlichen Katastrophe vorbei. Anders als beim Protest gegen G 7 müsste Kritik am Großformat G 20 wesentlich genauer sein, als sie stattfindet. Was an politischer Zielrichtung fehlt, wird aber derzeit an sinnfreier Masse wettgemacht. Die Party-Menschen, die gestern Nacht mit Wasserwerfern attackiert wurden, hatten praktischerweise schon gar keine politische Botschaft mehr. In Hamburg trinkt man jetzt Cocktails und tanzt nach Techno-Musik „gegen G 20“. Das ist politisch inhaltsfrei wird aber von der Polizei massiv bekämpft.
Und das ist doch der eigentliche Skandal. Nicht der Protest gegen die G 20 – Staaten spaltet Hamburg, wie es der Titel der Talkshow so gern suggerieren würde. Nein, die Tatsache, dass das Treffen von Spitzenpolitikern aus aller Welt mit militärischer Gewalt im Zentrum unserer Stadt installiert wird, zudem noch von Steuergeldern bezahlt, die bei anderen Gelegenheiten (etwa der Einrichtung dringend benötigter Kitas) angeblich ständig fehlen, das sorgt für Empörung. 
Ich persönlich habe zunächst erst einmal gar nichts gegen das Treffen von Vertretern aus 20 Ländern. Das einzige, was wirklich meinen Protest erregt, ist die Tatsache, dass man von vornherein so tut, als könne man dieses Treffen nur im Kriegszustand abhalten.
Mir kommt es so vor, als ob der G 20 Gipfel vor allem organisiert wird, um an einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung zu arbeiten. Eine Gesellschaft, die sich immer weiter aufrüstet, hat mit einem unglaublich hochgerüsteten Apparat das protestierende Volk per se zum Feind erklärt. Und gegen diesen Feind, also das eigene Volk, wird sich nun präventiv in Stellung gebracht. Macht es unter diesen Umständen überhaupt noch Sinn zu protestieren? Lässt man sich da nicht per se in eine Rolle drängen, die man eigentlich gar nicht übernehmen will? Demokratie heißt Mitsprache-Recht und nicht vor schussbereitem Gewehrlauf tapfer die eigene Ansicht vertreten. Polizisten sind in einer Demokratie dazu da, Demonstrationen zu schützen, anstatt sie zu bekämpfen. 
Leute, die mit „Welcome to hell“ zum „Kampf“ aufrufen, folgen einer Einladung zum Tanz, und das ohne jegliche strategische Logik. Jeder echte Kämpfer würde jetzt die Frontlücke an anderen Orten nutzen, die durch die Zusammenballung der Polizei-Kräfte in Hamburg entstanden ist.
Natürlich darf auch das „Zentrum für politische Schönheit“ nicht fehlen, das ganz und gar unschön zum Mord an Spitzenpolitikern aufruft, um die Demokratie zu schützen. Wie gehabt haut das ZPS in vollkommener Verblödung auf die Aggressionsspirale ein, um sie weiter hochzupeitschen. 
Wer in einem solchen Szenario protestiert, muss sich einfach fragen, ob er die Rolle, die ihm zugeschoben wird, wirklich spielen will. 
Dabei will ich nochmal klar stellen: Ja, Protest an die Verantwortlichen von Umweltzerstörung, völkerrechtswidrigen Angriffskriegen und globalem Massenelend zu richten, ist dringend notwendig. Doch: Wird sie derzeit in Hamburg wirklich klar formuliert? Bzw. ist nicht schon von vornherein klar, welche Geschichte erzählt wird und welche nicht? Es wird zu Eskalationen kommen und die werden in den Schlagzeilen stehen. 
Wäre Hamburg dann nicht vor allem eine hervorragende Gelegenheit, um gegen die Militarisierung von Politik zu demonstrieren. Etwa, indem man die Logik von Front und Feind durchbricht? Indem man sich weigert, die Rolle des Feindes anzunehmen. 
Es gibt viele Veranstaltungen, die ich durchaus unterstützenswert finde. 
Besonders gefällt mir das Musikfestival „Get up - Stand up“, organisiert vom Stadtmagazin Oxmox, das sich vor allem vorgenommen hat, der hochgerüsteten Stimmung etwas entgegen zu setzen: „Unter dem Motto Get up – Stand up sollen interessierte Gäste und Anwohner in Hamburgs wohl berühmtesten Viertel (St. Pauli) fernab von Krawall und Randale miteinander ins Gespräch kommen, gemeinsam ihre Stimme erheben und in einem familiär-friedlichen Umfeld zusammen feiern.“
Musiker mit friedenspolitischen Inhalten werden der Frontenbildung auf Hamburgs Straßen entgegen wirken. Das ist meiner Meinung nach das Beste, was man machen kann, wenn Vertreter aus verfeindeten Ländern in Hamburg miteinander reden. Für gute Stimmung sorgen und utopische Gedanken teilen. 
Quellen:

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