Thursday, November 23, 2017

Gabriele Krone-Schmalz: Die Geopolitik von Herrn Putin ist berechenbar - EXKLUSIV

Gabriele Krone-Schmalz gilt als eine der führenden Russlandexperten und war zur Zeit der Perestroika Russland-Korrespondentin der ARD. Ihr neues Buch heißt „Eiszeit – Wie Russland dämonisiert wird und warum das so gefährlich ist“. Im Exklusiv-Interview gibt sie ihre Einschätzung zu Putin, dem Ukraine-Konflikt, Syrien und dem Feindbild Russland.
Sputnik-Redakteur Armin Siebert im Gespräch mit Gabriele Krone-Schmalz
© FOTO: ILONA PFEFFER
Sputnik-Redakteur Armin Siebert im Gespräch mit Gabriele Krone-Schmalz
Frau Prof. Krone-Schmalz, in einer immer komplexer werdenden Welt gibt es endlich wieder etwas, worauf man sich verlassen kann: das gute alte Feindbild Russland. Wenn irgendwo auf der Welt etwas Schlimmes passiert, dauert es nicht lang, und es wird klar: die Russen waren’s. Sollte man sich darüber aufregen oder darüber lachen?
Zum Lachen ist es zu gefährlich, denn es hängt zu viel davon ab. Man muss sich darüber aufregen, weil die Welt so simpel nicht ist. Wenn von falschen Voraussetzungen Entscheidungen abhängen, werden die Entscheidungen auch falsch sein. In der Wirtschaft kosten falsche Entscheidungen Geld, in der Politik hin und wieder den Frieden.
Diejenigen, die Krieg miterlebt haben, sterben langsam aus. Und ich habe den Eindruck, dass das Bewusstsein für Zerbrechlichkeit, für Frieden auch ausstirbt. Dabei sollte das immer das oberste Gebot sein, und man sollte nicht so gedankenlos an einer Eskalationsspirale drehen.
Ein Phänomen ist, dass trotz breiter Einheitsfront gegen Russland in den Medien im sogenannten Volk doch noch nicht der Letzte davon überzeugt ist, dass der Russe per se böse ist. Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz?
Das fällt mir auch auf im Gespräch. Die Mehrheit der Menschen in Russland wie in Deutschland hat das Bedürfnis nach Frieden und guten Beziehungen zueinander. Leider spiegelt sich das in den Leitmedien und in der politischen Aussage so nicht wieder. Mich wundert, dass so ein Begriff wie "Verstehen" zum Schimpfwort geworden ist. Verstehen heißt ja nicht, alles, was der andere macht, in Ordnung zu finden, sondern, etwas zu begreifen und auf dieser Grundlage das eigene Handeln auszurichten. So muss man auch die russischen Interessen erst einmal verstehen, um mit westlicher Politik darauf zu reagieren.
Ich versuche in meiner Arbeit, die Dinge von beiden Seiten zu beleuchten, also auch mal einen Perspektivwechsel vorzunehmen, also die russischen Interessen zu betrachten. Wenn in einer Gesellschaft allein schon das Einnehmen dieser anderen Perspektive, um sie zu verstehen und zu erklären, von vornherein als Kumpanei gebrandmarkt wird, dann sollten die Menschen, die gute Beziehungen wollen, sich auf die Demokratie berufen dürfen.
In der Kreml-Astrologie wird gemutmaßt, dass Wladimir Putin viele Dinge persönlich nimmt und entsprechend reagiert. Wenn Putin tatsächlich so empfindlich wäre wie beispielsweise sein türkischer Kollege Erdogan, dann müsste er die westlichen Medien täglich mit Verleumdungsklagen überziehen. Mir scheint, dafür regiert der russische Präsident noch relativ moderat. Wie sehen Sie das?
Mit Verlaub, wenn es etwas Berechenbares gibt, dann ist es die absolut kühl kalkulierte, strategische Geopolitik von Herrn Putin. Das hat man alles vorher wissen können, auch vieles, was sich in der Ukraine entwickelt hat. Im Vorfeld des EU-Assoziierungsabkommens mit der Ukraine haben Entscheidungsträger im Westen durchaus geraten, dass sich hierfür Brüssel, Moskau und Kiew an einen Tisch setzen müssen. Nur leider wurden sie überstimmt.
Es ist leider so, dass viele hochrangige Politiker sich anders äußern, wenn Mikrofon und Kamera an sind, als im persönlichen Gespräch. Wenn es in einer Gesellschaft so ist, dass man zwar auf die äußere Freiheit sehr stolz sein kann, aber die innere Freiheit nicht mehr da ist, weil man Angst haben muss, medial oder in der eigenen Partei oder vom politischen Gegner oder Partner hingerichtet zu werden, dann ist es mit der Freiheit nicht weit her. Ich wünsche mir informierte Debatten. Die können auch sehr intensiv sein, aber mit dem Ziel Entspannungspolitik.
Informiert heißt faktenbasiert. Aber auch hier scheint es zwei Wahrheiten zu geben, was man an Begriffen wie Putsch oder Aufstand in Bezug auf die Machtübernahme in Kiew oder Angliederung und Annexion in Bezug auf die Krim sieht. Oder ein älteres Beispiel: bis heute denkt der gesamte Westen, dass Russland den Georgienkrieg 2008 begonnen hat. Wie kann es sein, dass es zwei Wahrheiten gibt und jede Seite vehement nur an ihre Version glaubt?
der Kreml (Symbol)
© SPUTNIK/ ALEXEJ DRUZSCHININ/ANTON DENISOW/PRESSEDIENST DES PRÄSIDENTEN RUSSLANDSА РФ
Sie brauchen Dinge nur oft genug zu wiederholen, und dann setzen sie sich fest. Man hat auch damals schon wissen können, dass Georgien begonnen hat und nicht Russland, aber das wurde nicht transportiert. Wenn also heute argumentiert wird, Russland, also im Zweifel Putin persönlich, will sich Polen und die baltischen Staaten unter den Nagel reißen, wie man das schon in Georgien gesehen hat, dann sieht man, was passiert, wenn Schlussfolgerungen aufgrund falscher Voraussetzungen gezogen werden.
Frau Krone-Schmalz, wo sehen Sie die Ukraine in zehn Jahren? In der EU? In der Nato?
Ich will nicht in die Zukunft spekulieren, aber ich hätte mir gewünscht, dass die Ukraine nicht als Zankapfel zwischen West und Ost in die Geschichte eingeht, sondern als Scharnier zwischen West und Ost.
Danach sieht es im Moment nicht aus.
Was ja ein Win-Win für alle Seiten wäre, genauso wie es für die EU doch eigentlich nur von Vorteil wäre, vom Handel bis zur Sicherheit gut mit Russland zusammenzuarbeiten. Warum kommt es nicht dazu?
Es liegt auf der Hand, dass die Zusammenarbeit der EU mit Russland und der Eurasischen Wirtschaftsunion mehr als Win-Win wäre. Das wäre natürlich im Interesse der EU und Russlands, aber nicht im Interesse der USA. Und das hat nichts mit Verschwörungstheorien zu tun. Selbst amerikanische Experten bestätigen, dass ein einiges Eurasien den USA gefährlich werden könnte. Das erklärt auch das vehemente Interesse der USA daran, dass die EU Sanktionen gegen Russland verhängte. Auch innerhalb der EU sind die Interessen natürlich unterschiedlich, vor allem zwischen den neuen und den alten EU-Mitgliedern. Wenn die Sichtweise der baltischen Staaten, Polens und einiger anderer Länder allerdings die EU-Politik bestimmt, dann ist das eine vergiftete Grundatmosphäre, auf der man keine Friedenspolitik aufbauen kann.
Und Russland? Wenn man sich ansieht, was Russland alles kann: die Wahlen der Weltmacht No.1 manipulieren, die größte Militärmacht der Welt, also die Nato bedrohen, die Demokratie der westlichen Welt mit Propaganda aushebeln – dann dürfte Putin doch in zehn Jahren der Weltherrscher sein, oder?
Klar, wenn irgendetwas irgendwo schief läuft, sind die Russen schuld, auch daran, dass Amerika jetzt Trump ertragen muss. Wenn man seine Kräfte damit verschleißt, äußere Einflüsse zu bekämpfen, dann hat man keine Kraft mehr, an den inneren Problemen zu arbeiten. Das betrifft auch einige Länder der EU. Rechtspopulistische Parteien bekommen sicher keinen Aufwind, weil sie von Moskau unterstützt werden, was der Fall sein mag, aber dass sie überhaupt entstehen können, hat doch mit unseren Problemen zu tun.
Kommen wir auf Syrien zu sprechen. Zwei Jahre nach dem Eingreifen Russlands ist der IS aus dem Land vertrieben, in weiten Teilen des Landes herrscht Frieden, Flüchtlinge kehren zu Tausenden zurück. Wir erinnern uns alle an die dramatische Quasi-Live-Berichterstattung aus Aleppo, obwohl sich tatsächlich damals kaum Journalisten da reingetraut haben. Jetzt kann man sicher in die Stadt und könnte zum Beispiel über den Wiederaufbau berichten. Wann haben Sie das letzte Mal einen Bericht zu Aleppo im deutschen Fernsehen gesehen?
Ich fürchte, Sie haben Recht mit dem, was Sie andeuten. Da wird nicht mehr so hingeguckt. Der Fokus war auf Aleppo. Aber was war denn mit Mossul oder anderen Brennpunkten, wo die Bomben anderer zu gleichem Leid geführt haben? Ich halte es für geboten, gerade bei diesen Themen nicht nur in Gut und Böse zu unterteilen. Dafür ist die Situation in Syrien zu komplex. Aber allen ist klar, dass es nur geht, wenn Amerikaner und Russen zusammen versuchen, in Syrien eine politische Lösung hinzukriegen. Das sollte sich auch in der Berichterstattung wiederspiegeln. Im Moment gibt es wieder eine entsprechende Initiative von Herrn Putin.
Wieso wird dann in der Berichterstattung ständig mit zweierlei Maß gemessen? Bei den USA sind es Kollateralschäden, bei den Russen Kriegsverbrechen?
Ich glaube, ich habe nicht ein Buch über Russland geschrieben, wo es nicht in einem Kapitel genau um dieses „Zweierlei Maß“ ging. Die Liste wäre endlos. Darauf muss man die Menschen aufmerksam machen, weil sich sonst Automatismen festsetzen. Da muss man dran rütteln, dass sie keine Eigendynamik entwickeln, die sehr schädlich ist.
In der Recherche für dieses Gespräch bin ich auf relativ wenige Rezensionen zu Ihrem neuen Buch „Eiszeit“ gestoßen. Ist die Resonanz tatsächlich geringer geworden, und wenn ja, wie erklären Sie sich das?
Ja, es gibt bisher kaum Rezensionen. Das muss man zur Kenntnis nehmen. Es wird offensichtlich in irgendeiner Form ignoriert. Vielleicht passt es nicht rein. Keine Ahnung. Das müssen Sie die sogenannten Leitmedien fragen, in denen normalerweise ein Buch rezensiert würde, das schon ein paar Wochen auf Platz Eins der Bestsellerliste steht.
Im Austausch mit Kollegen, treffen Sie überhaupt noch Osteuropaexperten, die in der Lage sind, die Geschehnisse objektiv und neutral zu bewerten?
Es gibt durchaus eine ganze Reihe von Kollegen, die nicht alles, aber vieles auch so sehen wie ich. Aber es ist halt ein Unterschied, ob man im Kollegenkreis darüber redet, oder ob sich das auch niederschlägt in Artikeln und Beiträgen. Es herrscht eine ungute Atmosphäre, die Menschen davon abhält, das zu sagen, was sie denken und was sie herausgefunden haben, weil sie damit rechnen müssen, dass es ihnen Nachteile bringt. Das ist etwas, was ich nicht gewillt bin hinzunehmen.
Apropos Kollegen, gibt es im Westen genug Russland-Expertise im Vergleich zu den Zeiten, als Sie Korrespondentin waren?
Ich habe schon den Eindruck, dass der Nachwuchs nicht gefördert wurde und wird. Das fängt schon in der Schule an, dass Eltern dagegen sind, dass ihr Kind Russisch lernt. Dieses Umfeld trägt sicher nicht dazu bei, dass sich junge Menschen dafür interessieren, was sich da abspielt. Auf der anderen Seite habe ich den Eindruck, dass gerade dies dazu führen könnte, dass junge Menschen hinterfragen wollen. Die beste Friedenspolitik ist Jugendaustausch. Wenn man sich persönlich kennenlernt, ist man etwas mehr immun gegen dummes Geschwätz.
Frau Krone-Schmalz, Sie sind hier in Berlin für den Petersburger Dialog. Was erwarten Sie sich von diesem Forum? Spielt der Petersburger Dialog überhaupt noch eine Rolle?
Jawohl, er spielt noch eine Rolle. Ich denke, dass jedes Dialogforum zwischen Russland und dem Westen, das es noch gibt, gehegt und gepflegt werden sollte. Ich würde mir vom Petersburger Dialog ein gemeinsames Statement, einen Appell von beiden Seiten wünschen, in dem ganz massiv eine neue Entspannungspolitik gefordert wird.
Gabriele Krone Schmalz im Sputnik-Studio
Das komplette Interview finden Sie hier
Das Buch „Eiszeit – Wie Russland dämonisiert wird und warum das so gefährlich ist“ ist im C.H.Beck-Verlag erschienen.

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